
Wehrpflicht-Debatte: Warum Deutschland keine Zwangsrekruten braucht
Während in Den Haag die NATO-Spitzen über Deutschlands militärische Zukunft beraten, entbrennt in Berlin eine hitzige Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die Forderung nach 80.000 zusätzlichen Soldaten bis 2040 wirft fundamentale Fragen auf: Kann eine moderne Armee überhaupt mit Zwangsverpflichteten funktionieren? Die Antwort fällt ernüchternd aus.
NATO fordert massiven Truppenaufbau
Der zweitägige NATO-Gipfel in Den Haag bringt für Deutschland unangenehme Wahrheiten auf den Tisch. Nicht nur sollen die Verteidigungsausgaben auf astronomische 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen – die Allianz verlangt auch einen gewaltigen personellen Aufwuchs der Bundeswehr. Die sogenannte "Fähigkeitsverteilung" sieht vor, dass Deutschland seine Streitkräfte um 80.000 Soldaten verstärken soll, vorrangig bei der chronisch unterbesetzten Luftwaffe.
Verteidigungsminister Boris Pistorius zeigt sich zurückhaltender und spricht von "nur" 60.000 zusätzlichen Soldaten. Sein oberster General, Carsten Breuer, hingegen träumt von einem Gesamtbestand von mindestens 460.000 Soldatinnen und Soldaten – eine Verdoppelung der aktuellen Mannschaftsstärke. Diese Zahlenspiele mögen auf dem Papier beeindruckend wirken, ignorieren aber die Realitäten einer modernen Kriegsführung.
Die Illusion der Wehrpflicht
In der Berliner Blase wird die Reaktivierung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht als Allheilmittel gepriesen. Besonders pikant: Die lautesten Befürworter in den Redaktionsstuben haben oft selbst nie gedient. Wer jedoch die Bundeswehr von innen kennt, weiß um die gravierenden Probleme, die eine Zwangsverpflichtung mit sich bringt.
Die Erfahrungen vor 2011 sprechen eine deutliche Sprache: Unmotivierte Wehrpflichtige, die ihren "Bummeldienst" absaßen, renitentes Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Totalverweigerer, die von Feldjägern zum Dienst gezwungen werden mussten. Ist das die "Kriegstüchtigkeit", von der Pistorius träumt? Eine Armee aus Unwilligen kann keine moderne Verteidigungsmacht sein.
Das vergiftete Image des Soldatenberufs
Die deutsche Gesellschaft hat ein gestörtes Verhältnis zu ihren Streitkräften. Jahrzehntelange antimilitaristische Propaganda hat ihre Spuren hinterlassen. Wenn evangelische Kirchenführer Soldaten als "Berufsverbrecher" diffamieren und das Bundesverfassungsgericht den Satz "Soldaten sind Mörder" unter Meinungsfreiheit stellt, dann verwundert es nicht, dass junge Menschen diesem Berufsstand skeptisch gegenüberstehen.
Diese gesellschaftliche Ächtung des Soldatenberufs ist ein hausgemachtes Problem. Während andere Nationen ihre Streitkräfte ehren, werden deutsche Soldaten bestenfalls ignoriert, schlimmstenfalls verachtet. Unter diesen Umständen eine Wehrpflicht einführen zu wollen, gleicht dem Versuch, ein brennendes Haus mit Benzin zu löschen.
Professionelle Armee statt Massenheer
Die Geschichte lehrt uns, dass Qualität über Quantität siegt. Schon Friedrich der Große besiegte mit seinen professionell ausgebildeten Truppen zahlenmäßig überlegene Gegner. Der Ukraine-Konflikt zeigt täglich, wohin schlecht ausgebildete Massenheere führen: Sie dienen als Kanonenfutter, nicht als effektive Verteidigungskraft.
Die moderne Bundeswehr ist eine hochprofessionelle Berufsarmee mit hervorragend ausgebildeten Soldaten. Diese Freiwilligen haben sich bewusst für den Dienst entschieden, leben Kameradschaft und erfüllen ihre Aufgaben mit hoher Motivation. Eine Verwässerung durch unmotivierte Zwangsrekruten würde diese gewachsene Professionalität zerstören.
Der richtige Weg: Attraktivität statt Zwang
Statt über Zwangsdienste zu philosophieren, sollte die Politik endlich die wahren Probleme angehen. Die Karriereaussichten für Soldaten müssen verbessert, die Besoldung an die Qualifikation angepasst und bürokratische Hürden abgebaut werden. Besonders im technischen Bereich konkurriert die Bundeswehr mit der freien Wirtschaft um Fachkräfte – und zieht meist den Kürzeren.
Auch die Reservistenausbildung krankt an mangelnder Unterstützung durch Arbeitgeber. Wer im Ernstfall auf funktionierende Strukturen angewiesen ist, muss bereit sein, seinen Beitrag zu leisten – nicht nur durch Steuern, sondern auch durch die Freistellung von Mitarbeitern für Reserveübungen.
Ein gefährlicher Irrweg
Die Wehrpflicht-Debatte offenbart das grundlegende Dilemma der deutschen Sicherheitspolitik: Man will eine starke Armee, aber niemand soll dafür Opfer bringen müssen. Die Lösung kann nicht in der Zwangsverpflichtung unwilliger junger Menschen liegen. Eine moderne Verteidigungsmacht braucht motivierte Profis, keine demotivierten Zwangsrekruten.
Deutschland täte gut daran, aus der Geschichte zu lernen. Eine Berufsarmee von 250.000 gut ausgebildeten und motivierten Soldaten ist effektiver und kostengünstiger als ein aufgeblähtes Massenheer von 460.000 Mann, von denen die Hälfte nur die Tage bis zur Entlassung zählt. Die deutsche Gesellschaft würde sich mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht keinen Gefallen tun – im Gegenteil, sie würde die Verteidigungsfähigkeit des Landes schwächen statt stärken.
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