
Impfgeschädigte könnten künftig länger klagen – EuGH prüft wegweisenden Fall
Ein möglicherweise bahnbrechendes Urteil bahnt sich am Europäischen Gerichtshof an. Die einflussreiche Generalanwältin Laila Medina empfahl am Donnerstag, die Klagemöglichkeiten für Impfgeschädigte deutlich zu erweitern. Betroffene sollen demnach auch noch nach mehr als zehn Jahren gegen Hersteller vorgehen können – ein Schritt, der längst überfällig scheint.
Der Fall, der alles ins Rollen brachte
Was als Routineimpfung begann, entwickelte sich für eine französische Frau zu einem jahrelangen Martyrium. Im Jahr 2003 ließ sie sich gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis impfen – eigentlich eine Standardprozedur. Doch die Folgen waren alles andere als standard. Anhaltende gesundheitliche Probleme plagten die Frau, bis eine Muskelbiopsie 2008 den Verdacht erhärtete: Die Beschwerden könnten direkt mit einem Bestandteil des Impfstoffs zusammenhängen.
Besonders perfide: Erst 2016, also dreizehn Jahre nach der Impfung, stellten Ärzte fest, dass sich ihr Zustand stabilisiert hatte. Eine weitere Verschlimmerung sei nicht mehr zu erwarten, hieß es. Doch als die Frau daraufhin den Hersteller verklagen wollte, berief sich dieser auf Verjährung – mit Erfolg in erster Instanz.
Die rechtliche Krux: Wenn Zeit gegen Opfer arbeitet
Die EU-Produkthaftungsrichtlinie sieht eigentlich klare Fristen vor: drei Jahre ab Kenntnis des Schadens, maximal zehn Jahre ab Inverkehrbringen des Produkts. Doch was, wenn sich ein Schaden erst schleichend entwickelt? Was, wenn Betroffene erst nach Jahren oder gar Jahrzehnten das volle Ausmaß ihrer Leiden erkennen?
Generalanwältin Medina bringt es auf den Punkt: Eine „unbedingte Anwendung" der Ausschlussfrist würde das in der EU-Grundrechtecharta verankerte „Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf" untergraben. Ihre Lösung klingt vernünftig: Betroffene sollen ab dem Zeitpunkt, an dem sich ihre Erkrankung stabilisiert und der Schaden abschließend feststeht, drei Jahre Zeit für eine Klage haben – unabhängig davon, wie viel Zeit seit der Impfung vergangen ist.
Verschuldenshaftung als zusätzlicher Hebel
Besonders brisant ist Medinas Vorschlag, neben der verschuldensunabhängigen Produkthaftung auch eine Verschuldenshaftung der Hersteller in Betracht zu ziehen. Dies könnte etwa greifen, wenn ein Hersteller trotz bekannter Warnungen über Risiken einen Impfstoff nicht vom Markt nimmt. Ein Gedanke, der in Zeiten hastiger Impfstoffentwicklungen und verkürzter Zulassungsverfahren durchaus Relevanz besitzt.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Sollte der EuGH dem Gutachten folgen – und die Richter tun dies in den meisten Fällen –, könnte dies weitreichende Konsequenzen haben. Impfgeschädigte hätten bessere Chancen, ihre berechtigten Ansprüche durchzusetzen. Gleichzeitig würde der Druck auf Hersteller steigen, ihre Produkte noch sorgfältiger zu prüfen und transparent über mögliche Risiken zu informieren.
In einer Zeit, in der das Vertrauen in pharmazeutische Produkte ohnehin angekratzt ist, könnte mehr Rechtssicherheit für Geschädigte paradoxerweise das Vertrauen in Impfungen stärken. Wer weiß, dass er im Ernstfall nicht allein gelassen wird, ist eher bereit, medizinische Empfehlungen zu folgen.
Das endgültige Urteil wird für Herbst erwartet. Es bleibt zu hoffen, dass die Luxemburger Richter den Mut haben, den Verbraucherschutz über starre Fristen zu stellen. Denn am Ende geht es um Menschen, die oft jahrelang leiden – und die ein Recht darauf haben, gehört zu werden.
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